Netscape 6


Das Mozilla-Open-Source-Projekt

Einer der wichtigsten Trends in der heutigen Informationstechnik ist das Wachstum der Open-Source- Software: Software, deren Quellcode Lizenzen unterliegt, die den uneingeschränkten Gebrauch, die Veränderung und Redistribution gestatten, und die in einem offenen Prozess von verschiedenen Entwicklergruppen, die via Internet zusammenarbeiten, entwickelt wird.

Der wichtigste Anteil der Kerninfrastruktur des Internets wurde ursprünglich als Open Source einschließlich des TCP/IP-Protokollstapels, der Computer mit dem Internet verbindet und dem Domain Name System, das "Com"-Namen in numerische Internetadressen übersetzt, entwickelt. Das Linux-Betriebssystem und der Apache-Web-Server sind weitere bekannte Beispiele für Software-Projekte, die als Open -Source-Software entwickelt wurden.

Netscape 6 ist selbst ein Produkt eines Open-Source-Entwicklungsprozesses; in diesem Abschnitt wird das Mozilla Open-Source-Projekt, das hinter Netscape 6 steht, einschließlich seiner Funktionsweise und den Vorteilen für die Benutzer von Netscape 6 erläutert.

Vorgeschichte und Hintergrund

Am 31. März 1998 wurde der Quellcode für die Entwicklung der nächsten Generation des Netscape Communicators zur Open-Source Software; Netscape gab diesen Code mit einer Open-Source- Lizenz, der Mozilla Public License, frei. Dieser Quellcode und seine Folgeversionen werden nach dem ursprünglichen Codenamen für den Netscape Navigator 1.0 "Mozilla" genannt.

Zu dieser Zeit gab Netscape auch die Gründung von mozilla.org, einer Organisation zur Überwachung der öffentlichen Entwicklung dieses Codes durch Entwickler von Netscape und anderen, bekannt. Durch die Schaffung von mozilla.org erkannte Netscape, dass die Förderung eines Open-Source-Entwicklungsprozesses innerhalb des Mozilla-Projekts ebenso wichtig für den Erfolg des Projekts war, wie die Freigabe des Mozilla-Open-Source-Codes selbst. Ungeachtet der gelegentlichen Rückschläge haben sich sowohl der Code als auch der Prozess seit der Freigabe des Quellcodes kontinuierlich weiterentwickelt.

Die Vorgeschichte des Mozilla-Projekts kann bis jetzt grob in drei Phasen unterteilt werden. In der ersten Phase (April - Oktober 1998) arbeiteten die meisten Entwickler bei Netscape und anderswo daran, ein vollständiges Produkt auf der Grundlage des ursprünglich von Netscape freigegebenen Codes zu entwickeln; dies bedeutete, dass die über einen Code von Dritten, den Netscape nicht freigeben konnte, implementierte Funktionalität wieder hergestellt werden musste.

Gleichzeitig bemühten sich die Mitglieder von mozilla.org mit beträchtlichem Einsatz darum, die Entwicklung von Mozilla von einem Netscape-internen Prozess in einen offenen Prozess, an dem Entwickler in aller Welt teilhaben können, zu verwandeln.

Diese Bemühungen bedeuteten, dass eine große Bandbreite an Tools, die ursprünglich innerhalb von Netscape entwickelt wurden, um eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung zu fördern, für den globalen Zugriff vorbereitet werden musste. Zu diesen Tools gehörten das Bugzilla-Bug-Reporting-System, das Bonsai-System für die Überwachung von Änderungen der Ursprünge des Mozilla-Quellcodes und das Tinderbox-System zur automatischen Generierung des Binär-Builds aus dem Quellcode. Diese Tools werden zusätzlich zur Mozilla-Entwicklung auch von vielen Unternehmen und Organisationen eingesetzt.


Während dieser Zeit arbeitete eine kleine Gruppe von Entwicklern bei Netscape parallel an einem NGLayout, einem Motor der nächsten Generation für die Anzeige von HTML/CSS-Inhalten. Als die NGLayout-Technik immer ausgereifter wurde, war den Mozilla-Entwicklern klar, dass diese Technik einen vielversprechenden, effizienten und zuverlässigen Internet-Client hervorbringen könnte, der eine bis dahin nie da gewesene Konformität mit branchenführenden, Anbieter-unabhängigen Web-Standards wie HTML 4.0, XML und CSS1 integrieren würde.

Auf der Grundlage der Diskussionen in den Mozilla-Public-Foren und bei Netscape beschlossen mozilla.org und das Mozilla -Entwicklungsteam im Oktober 1998 die Entwicklungsbemühungen von der bestehenden Mozilla-Code-Basis (heute als "Mozilla Classic" bekannt) hin zu der Entwicklung eines neuen Mozilla-Angebots zu lenken, das die Fähigkeiten des NGLayout-Motors (genannt "Netscape Gecko") voll ausschöpfen sollte.

So lief die zweite Phase des Mozilla-Projekts an, die im Oktober 1998 begann und bis Ende 1999 andauerte.

Während dieser Phase arbeiteten die Entwickler an der Schaffung der erforderlichen Basistechnik, um eine vollständige Internet -Anwendung um den Netscape-Gecko-Motor herum zu erstellen. Zu dieser Technik gehören die XPCOM-Komponententechnik, die die komplette Modularisierung von Mozilla ermöglichen sollte, die XUL-Technik, mit der Benutzeroberflächen unter Einsatz des Netscape-Gecko-Motors (mit HTML, CSS und JavaScript) implementiert werden können, und der Necko-Networking-Motor zur Bildung der Schnittstellen zwischen dem Internet und der lokalen Dateisysteme. Unter Einsatz dieser Basistechniken arbeiteten andere Entwickler daran, die Funktionalität einschließlich der Browser- und E-Mail/News-Clients, die der Endbenutzer sieht, zu entwickeln.

Während dieser zweiten Phase stieg die Zahl der Teilnehmer am Mozilla-Projekt, ebenso wie die Zahl derjenigen, die Betaversionen von Mozilla herunterluden und testeten merklich an. Am Ende dieser Phase nahm der Mozilla-Client Form an und war zuverlässig genug, um von den Entwicklern als Alpha-Qualitätssoftware genutzt und getestet zu werden.

Das Mozilla-Projekt trat dann in seine gegenwärtig andauernde Phase ein, in der der Code weiterentwickelt wird und seine Zuverlässigkeit soweit vorhanden ist, dass er in kommerzieller Form von Netscape 6 angekündigt und als Beta-Version zum öffentlichen Test freigegeben werden kann.

Die Arbeitsweise des Mozilla-Projekts

Da das Projekt auf einer kollaborativen, unternehmens- und grenzüberschreitenden Entwicklung beruht, wirkt das Mozilla-Projekt auf den Beobachter anfangs komplizierter und unstrukturierter als traditionelle, geschützte Entwicklungsprojekte, die innerhalb eines einzigen Unternehmens durchgeführt werden. Eigentlich ist die Struktur des Mozilla-Projekts recht unkompliziert, die Verantwortungen sind eindeutig zugewiesen und der Zugang einzelner Unternehmen zur Teilnahme am Projekt ist einfach.

Das Kernstück des Projekts ist mozilla.org unter der Leitung von Mitchell Baker. Die Mitarbeiter von mozilla.org fungieren als Koordinatoren von Entwicklungsaktivitäten und bewahren die allgemeine Systeminfrastruktur des Mozilla-Projekts, zu der das mozilla.org-Web und FTP -Sites, der ursprüngliche Quellcode und die zahlreichen, gemeinschaftlich entwickelten Tools, die in diesem Projekt zum Einsatz kommen, gehören. Die Belegschaft von mozilla.org einschließlich des Projektarchitekten Brendan Eich sind auch für die Roadmap der Mozilla -Gesamtentwicklung, für die Standardisierung von öffentlichen Mozilla-Anwendungen, für die nachfolgend beschriebene Ernennung von "Modul-Inhabern" und die Beilegung technischer Differenzen verantwortlich. Einige Mitarbeiter der Belegschaft von mozilla.org sind bei Netscape unter Vertrag, während andere Unternehmen die restlichen Mitarbeiter beschäftigen.

Die Verantwortung für die eigentliche Entwicklung der Mozilla-Software ist auf eine Reihe von "Modul-Inhabern" oder Hauptentwicklern aufgeteilt worden. Jeder Moduleigentümer wird von mozilla.org ernannt und trägt die Verantwortung für einen bestimmten Teil der Mozilla -Code-Basis. Einige der Modul-Inhaber sind Mitarbeiter von Netscape. Weitere Modul-Inhaber sind bei anderen Unternehmen beschäftigt oder sind unabhängige Freiwillige. Die Modul-Inhaber überwachen und koordinieren die Arbeit der Kerngruppe von Mozilla-Entwicklern, die wie bereits erwähnt teilweise bei Netscape und teilweise bei anderen Unternehmen beschäftigt sind. Die Mitglieder dieser Kerngruppe von Entwicklern haben einen "Check in"-Zugriff, um den Code des Mozilla-Quellcodes, der von mozilla.org überwacht wird, erweitern zu können; es liegt auch in ihrem Verantwortungsbereich, Störungen, die vom Bugzilla-System gemeldet werden, zu beheben.

Entwickler, die nicht zur Kerngruppe gehören, können Kopien des Mozilla-Quellcodes herunterladen ("Check-out") und ihre eigenen Änderungen und Programmkorrekturen einbringen, indem sie sie an die Modul-Inhaber oder an andere Personen mit Check-in-Zugriff schicken. Wenn solche Entwickler zur Weiterentwicklung des Codes beitragen und immer mehr in das Projekt einbezogen sind, können sie sich bei den Modul-Inhabern für den Check-in-Zugriff bewerben und so der Kerngruppe von Mozilla-Entwicklern beitreten.

Auch Entwickler, die keine C++ Experten sind, können zum Mozilla-Projekt beitragen. So haben z.B. viele HTML/CSS Fachleute einen großen Anteil an dem hohen Level der Standardkonformität von Mozilla, indem sie helfen konnten, die tatsächlichen Standardspezifikationen zu klären und zu interpretieren, Testfälle und Testreihen zur Verfügung gestellt und Berichte zu Programmfehlern analysiert haben.

Andere Mitwirkende führen Performance-Tests durch, prüfen anfängliche Fehlerberichte, schreiben die Dokumentation, übersetzen Mozilla -Text zur Erstellung lokalisierter Versionen (bisher in über 40 Sprachen) oder verwenden die XUL-Sprache zum Experimentieren mit alternativen Benutzeroberflächen.

Die Vorteile der Open-Source-Entwicklung

Der Open-Source-Entwicklungsprozess für die Erstellung von Mozilla und demzufolge auch Netscape 6 bringt den Nutzern der Software reale Vorteile, sei es als Web-Entwickler, Content Creator oder Endbenutzer des Browsers, der E-Mail oder anderer Funktionen.

Erstens hat der offene und öffentliche Entwicklungsprozess des Mozilla-Codes für eine endgültige Form gesorgt, die weiterhin offen für jede Art von Input ist. So ist z.B. das hohe Maß an Standardkonformität von Mozilla und Netscape 6 ein unmittelbares Ergebnis des Einflusses von Web-Entwicklern, die vollständig konforme Implementierungen von HTML 4.0, CSS1 etc. gefordert haben, um den bei der Arbeit mit anbieterspezifischen Browsern und anderen Abweichungen vom Web-Standard verbundenen Zeitaufwand zu reduzieren.

Der offene Mozilla-Entwicklungsprozess hat es den Web-Entwicklern ermöglicht, im Laufe des Prozesses kontinuierlich Standardkonformität zu testen, Berichte über etwaige Programmfehler vorzulegen und standardrelevante Themen mit den direkt an der Entwicklung des Codes beteiligten Entwicklern zu diskutieren.

Zweitens bedeutet die Tatsache, dass der Mozilla-Quellcode für jeden frei zugänglich und verwendbar ist, dass jedes Unternehmen oder jeder unabhängige Entwickler den Code nutzen und ändern kann, sei es, um Funktionen für eigene Zwecke oder für den Nutzen anderer zu ergänzen, um Kundenversionen für den internen Gebrauch zu erstellen oder um kommerzielle Produkte für bestimmte Marktbereiche zu entwickeln.

Unternehmen wie IBM, Intel und Sun leisten ihren Beitrag zur Mozilla-Code-Basis, um Funktionen im eigenen Interesse, wie z.B. die Unterstützung von Java, Plug-Ins und bidirektionalen Sprachen wie Arabisch und Hebräisch zu implementieren. Andere Unternehmen (wie Alphanumerica, CiTEC, Nexware und Nokia) haben durch die Verwendung des Mozilla-Codes Kundenprodukte für bestimmte Inhalte (wie SGML und XML) oder für spezielle Plattformen (wie nicht-PC-Geräte) entwickelt.

Drittens wird durch die offene Projektnatur sichergestellt, dass Programmfehler behoben und Performance sowie Anwenderfreundlichkeit kontinuierlich verbessert werden, und dass Netscape 6 für Endbenutzer, die auf das Internet zugreifen möchten, und für Entwickler von Web -Anwendungen erhebliche Fortschritte mit sich bringt.